K113 | Autorität und Familie Hinweise zur kritischen Theorie von Max Horkheimer (Teil 1: Begriff der Autorität) 21. März 2015 |
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Mit den 1936 in erster Auflage erschienenen "Studien über Autorität und Familie" legte das damals vor dem Hitlerregime emigrierte Frankfurter Institut für Sozialforschung eine ausserordentliche Studie vor. An dieser Stelle wird auf einige zentrale Überlegungen eingegangen, die in dem von Max Horkheimer vorgelegten ersten "Allgemeinen Teil" der Gesamtstudie zu finden sind (Nachweis siehe Kasten). Max Horkheimer ist überzeugt davon, dass auch die Herstellung einer vernünftigen, allen Menschen ein gutes Leben ermöglichenden Gesellschaft eine bestimmte Form von Autorität voraussetzt. Diese Überzeugung Horkheimers dürfte noch heute bei vielen autoritätskritischen Leserinnen und Lesern sofort Skepsis hervorrufen und in ihr mag auch einer der Gründe dafür zu suchen sein, weshalb Horkheimer heute nur noch selten gelesen wird. Es ist freilich zu vermuten, dass die Skeptiker sofort, wenn sie auch nur eine positive Formulierung zur Autorität bemerkten, sich abwendeten und gar nicht weiter prüften, welchen Autoritätsbegriff Horkheimer genau entwickelt. Wenn dem so ist, ist es überaus schade, auch hinsichtlich der Entwicklung eines fortschrittlich-politischen Bewusstseins. Horkheimer argumentiert so, wie es gute kritische Theorie auszeichnet, überaus differenziert und dank der Differenzierung überaus konsequent. |
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Wenn wir vorläufig als autoritär jene inneren und äusseren Handlungsweisen ansehen, in denen sich die Menschen einer fremden Instanz unterwerfen, so springt sogleich der widerspruchsvolle Charakter dieser Kategorie in die Augen. Das autoritäre Handeln kann im wirklichen und bewussten Interesse von Individuen und Gruppen liegen. (...) Autorität als bejahte Abhängigkeit kann daher sowohl fortschrittliche, den Interessen der Beteiligten entsprechende, der Entfaltung menschlicher Kräfte günstige Verhältnisse bedeuten als einen Inbegriff künstlich aufrecht erhaltener, längst unwahr gewordener gesellschaftlicher Beziehungen und Vorstellungen, die den wirklichen Interessen der Allgemeinheit zuwiderlaufen. Sowohl blinde und sklavische Ergebung, die subjektiv von seelischer Trägheit und Unfähigkeit zum eigenen Entschluss herrührt und objektiv zur Fortdauer beengender und unwürdiger Zustände beiträgt, als auch die bewusste Arbeitsdisziplin in einer aufblühenden Gesellschaft beruht auf Autorität. Ob die faktische Bejahung eines bestehenden Abhängigkeitsverhältnisses, die sich nicht bloss in der grundsätzlichen Anerkennung, sondern weit mehr noch in der Unterordnung des alltäglichen Lebens bis in das geheimste Fühlen auszudrücken pflegt, tatsächlich den verschieden entwickelten menschlichen Kräften in der betreffenden Periode entspricht und daher objektiv angemessen ist, ob die Menschen, indem sie ihre abhängige Existenz instinktiv oder mit vollem Bewusstsein akzeptieren, sich um das ihnen erreichbare Mass an Kräfteentfaltung und Glück betrügen oder dieses für sich selbst oder die Menschheit herbeiführen helfen, ob die bedingungslose Unterordnung unter einen politischen Führer oder eine Partei historisch nach vorwärts oder nach rückwärts weist, vermag allein die Analyse der jeweiligen gesellschaftlichen Situation in ihrer Totalität zu beantworten. Es gibt kein allgemein gültiges Urteil in dieser Hinsicht. (Max Horkheimer (1936): S. 24f.) |
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Max Horkheimer
(1936) Allgemeiner Teil In: |
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Diese Feststellung bedeutet auch, dass eine Autorität, die zu einem bestimmten früheren Zeitpunkt durchaus Sinn machte und zu Recht befolgt wurde, zu einem späteren historischen Zeitpunkt aufgrund neu geschaffener gesellschaftlicher Möglichkeiten, Möglichkeiten gar, die unter der alten Autorität aufgebaut wurden, sinnlos und hinderlich werden. Das heisst dann auch, dass eine historische Analyse von Autorität darauf bedacht sein muss, die jeweilige Zeit auch von den damals gegebenen Möglichkeiten und dem damals möglichen Wissen her zu lesen und nicht einfach von der Gegenwart aus. Dabei ist allgemein davon auszugehen, worauf Horkheimer nicht explizit eingeht, dass das Nichtbefolgen des autoritär Geforderten infolge individueller Abweichung, was vermutlich zu allen Zeiten vorkam, dann jeweils das geringste Problem darstellt, wenn das autoritär Geforderte derart allgemein anerkannt ist, dass aus der Abweichung keine Gefahr für es erwächst. Anders sieht es dann aus, wenn die Autorität bereits am Wanken ist oder sich zu restaurieren versucht und demzufolge von jedem Abweichenden sich sofort in Frage gestellt sieht. Dann werden die Abweichenden zumeist scharf verfolgt. Eine Grundthese von Horkheimer besagt, dass mit der Aufklärung und dem Aufkommen des Bürgertums die Autorität, wenn allerdings vielmehr ideell als reell, auf eine ganz neue Basis gestellt wurde, nämlich auf die jedem Menschen innewohnende Vernunft als legitimer Quelle von Recht und Wahrheit. Man könnte nun vielleicht denken, dass mit der Konzeption von aus Vernunft freien und unabhängigen Menschen die Autorität per se gestürzt sein wollte und nicht nur die feudal-religiös sich begründende. Und tatsächlich wurden Vernunft und Autorität in der ersten Phase der Aufklärung als Gegensatz wahrgenommen, später dann aber letztere durch erstere begründet. Diese Begründung dann führte seinerseits rasch zu einer Verdinglichung der Autorität, die in Wirklichkeit ja ein Verhältnis zwischen Menschen bildet und also genau - und diese Kritik ist bei Horkheimer wesentlich - nicht verdinglicht werden dürfte. Doch auch in einer idealen allen Menschen ein gutes Leben ermöglichenden Gesellschaft müssen die Menschen, um das Leben zu produzieren und zu reproduzieren, planvoll sich zusammenschliessen und bedürfen damit ebenfalls bestimmter Verhältnisse bejahter Abhängigkeit, mithin der Autorität. Diese wäre dann freilich, vom Ideal her gedacht, eine besondere und genau nicht eine verdinglichte. Darauf weist Horkheimer immer wieder hin. Es seien drei markante Stellen zitiert. Der gesellschaftliche Arbeitsprozess bedarf jedoch der verschiedenartigsten Kenntnisse, und der Verzicht auf die Scheidung leitender und ausführender Funktionen ist nicht bloss eine Utopie, sondern bedeutet den Rückfall in die Urzeit. Der wahre Widerspruch zum bürgerlichen (verdinglichenden, kw) Begriff der Autorität liegt in ihrer Loslösung von egoistischem Interesse und Ausbeutung. Dieser Widerspruch ist mit der Idee einer heute möglichen höheren Gesellschaftsform verbunden. Nur wenn die leitenden und ausführenden Funktionen bei der Arbeit weder mit gutem und schlechtem Leben verbunden noch an feste gesellschaftliche Klassen verteilt sind, nimmt die Kategorie der Autorität eine andere Bedeutung an. (Max Horkheimer (1936): S. 48) In der individualistischen Gesellschaft sind auch Fähigkeiten ein Besitz, aus dem man Kapital schlägt - und gewöhnlich fliessen sie auch teilweise aus dem Kapital, das heisst aus einer guten Ausbildung und der Ermutigung durch Erfolg. Entstehen jedoch die Güter, welche die Menschen zum Leben brauchen, einmal nicht mehr in einer Wirtschaft scheinbar freier Produzenten, von denen die einen aufgrund ihrer Armut sich an die anderen sich verdingen müssen und diese anstatt für die menschlichen Bedürfnisse nur für ihren 'zahlungsfähigen' Teil zu fabrizieren gezwungen sind, sondern aus einer planmässig geleiteten Anstrengung der Menschheit, dann wird die Freiheit des abstrakten Individuums, das tatsächlich gebunden war, zur solidarischen Arbeit konkreter Menschen, deren Freiheit wirklich nur noch die Naturnotwendigkeit beschränkt. In der Disziplin ihrer Arbeit ordnen sie sich in der Tat einer Autorität unter, aber diese selbst besorgt nur ihre eigenen zum Beschluss erhobenen Pläne, die freilich keine Resultanten divergierender Klasseninteressen sind. (Max Horkheimer (1936): S. 48) So aufgefasst gälte die Autorität als ein Verhältnis, bei dem der eine sich dem andern aufgrund seiner sachlichen Überlegenheit vernünftig unterordnet, sie schlösse die Tendenz ein, sich selbst aufzuheben, indem der Gehorsam schliesslich den Unterlegenen aus seiner Unterlegenheit befreite. Dieser Ansicht widerspricht aber die herrschende gesellschaftliche Praxis, in der vielmehr die Hinnahme der Abhängigkeit zu ihrer fortwährenden Vertiefung führt. Im Bewusstsein der Gegenwart erscheint Autorität auch gar nicht als Verhältnis, sondern als unaufhebbare Eigenschaft des Überlegenen, als qualitative Differenz. Da die bürgerliche Denkweise den Wert von materiellen und geistigen Gütern, mit denen die Menschen täglich umgehen, nicht als eine Form gesellschaftlicher Beziehungen erkennt, sondern entweder als natürliche Eigenschaften der Dinge oder im Gegensatz dazu als rein willkürliche Schätzungen der rationalen Aufhellung entzieht, so fasst sie auch die Autorität, soweit sie nicht überhaupt anarchistisch geleugnet wird, als feste Qualität. (Max Horkheimer (1936): S. 53f.) Horkheimer setzt dem bürgerlich-verdinglichenden einen fortschrittlichen Autoritätsbegriff entgegen, der in sich selber einen Mechanismus der gleichsam negativ-dialektischen Selbstaufhebung besitzt, wobei die Realisierung von konkreten Menschen unter diese ermöglichenden Verhältnissen durchzuführen wäre. Dazu bedarf es sowohl einer grundlegend reformierten Ökonomie und Kultur als auch eines kritisch aufgeklärten Bewusstseins. Die Aufklärung und auch das sie tragende Bürgertum entwickelten in ihrem Widerstand gegen die überkommene feudal-religiöse Ordnung durchaus einen in diese Richtung weisenden Begriff - man denke alleine an Kant -, doch wurde er praktisch nicht realisiert, sondern diente einzig der Ideologie, das heisst der Verschleierung des Tatsächlichen. Und dieses Tatsächliche, das heute sich praktisch gar nicht von damals unterscheidet, beschreibt Horkheimer folgendermassen: Die Geschichte gleicht im bürgerlichen Zeitalter nicht einem bewusst geführten Kampf der Menschheit mit der Natur und der stetigen Entfaltung aller ihrer Anlagen und Kräfte, sondern einem sinnlosen Schicksal, gegenüber dem der Einzelne sich je nach seiner Klassensituation mehr oder weniger geschickt verhalten kann. In der Freiheit und scheinbaren Genialität des Unternehmers, deren Ruf zur Steigerung seiner eigenen Autorität beiträgt, steckt als ihr Kern die Anpassung an einen gesellschaftlichen Zustand, in dem die Menschheit ihr Schicksal nicht in die Hand genommen hat, die Unterwerfung unter ein blindes Geschehen anstelle seiner vernünftigen Regelung, die Abhängigkeit von einem irrationalen Zustand der Gesellschaft, den man ausnutzen muss, anstatt ihn in seiner Totalität zu gestalten, kurz, in dieser Freiheit steckt ein zwar ursprünglich notwendiger, heute rückschrittlicher Verzicht auf Freiheit, die Anerkennung der blinden Macht des Zufalls, eine längst diskreditierte Autorität. Diese aus der Irrationalität des ökonomischen Prozesses stammende Abhängigkeit des Unternehmers tritt in der Ohnmacht gegenüber den sich vertiefenden Krisen und der Ratlosigkeit auch in den leitenden Kreisen der Wirtschaft allenthalben hervor. Indem das Bewusstsein der Bankiers, Fabrikherrn und Kaufleute, so wie es in der kennzeichnenden Literatur der letzten Jahrhunderte seinen Ausdruck fand, die Demut von sich ausgeschieden hat, erfuhr es zugleich die gesellschaftlichen Tatsachen als eine übergeordnete blinde Instanz und liess sein Verhältnis zu den Mitmenschen im Gegensatz zum Mittelalter durch die anonyme ökonomische Notwendigkeit vermitteln. Es findet so eine neue und machtvolle Autorität. Bei der Entscheidung über das Los von Menschen, Anwerbung und Entlassung von arbeitenden Massen, Ruinierung der Bauern in ganzen Bezirken, Entfesselung von Kriegen usf. ist nicht etwa an die Stelle der Willkür die Freiheit, sondern der blinde ökonomische Mechanismus getreten, ein anonymer Gott, der die Menschen versklavt und auf den sich diejenigen berufen, die, wenn auch nicht die Gewalt über ihn, so doch den Vorteil von ihm haben. Die Machtherrn haben aufgehört, als Repräsentanten einer weltlichen und himmlischen Autorität zu handeln, und sind dafür Funktionen der Eigengesetzlichkeit ihrer Vermögen geworden. Statt durch die behauptete Innerlichkeit sind die scheinbar freien Unternehmer durch eine seelenlose ökonomische Dynamik motiviert, und sie haben keine Wahl, sich diesem Sachverhalt zu widersetzen, es sei denn durch die Preisgabe ihrer Existenz. Die möglichst vollständige Anpassung des Subjekts an die verdinglichte Autorität der Ökonomie ist zugleich die Gestalt der Vernunft in der bürgerlichen Wirklichkeit. (Max Horkheimer (1936): S. 34f.) |
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