K152 | Das übergangene Nichtidentische Zu einer analogen Grundproblematik bei Hegel und bei Marx 1. April 2017 |
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In dem 1873 verfassten Nachwort zur zweiten Auflage des ersten Band des "Kapital" erläutert Karl Marx seine dialektische Methode im Vergleich zu jener von Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Meine dialektische Methode ist der Grundlage nach von der Hegelschen nicht nur verschieden, sondern ihr direktes Gegenteil. Für Hegel ist der Denkprozess, den er sogar unter dem Namen Idee in ein selbständiges Subjekt verwandelt, der Demiurg (der Weltenschöpfer, kw) des Wirklichen, das nur seine äussere Erscheinung bildet. Bei mir ist umgekehrt das Ideelle nichts andres als das im Menschenkopf umgesetzte und übersetzte Materielle. |
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Die mystifizierende Seite der Hegelschen Dialektik habe ich vor beinah 30 Jahren, zu einer Zeit kritisiert, wo sie noch Tagesmode war. Aber grade als ich den ersten Band des 'Kapital' ausarbeitete, gefiel sich das verdriessliche, anmassliche und mittelmässige Epigonentum, welches jetzt im gebildeten Deutschland das grosse Wort führt, darin, Hegel zu behandeln, wie der brave Moses Mendelssohn zu Lessings Zeit den Spinoza behandelt hat, nämlich als 'toten Hund'. Ich bekannte mich daher offen als Schüler jenes grossen Denkers und kokettierte sogar hier und da im Kapitel über die Werttheorie mit der ihm eigentümlichen Ausdrucksweise. Die Mystifikation, welche die Dialektik in Hegels Händen erleidet, verhindert in keiner Weise, dass er ihre allgemeinen Bewegungsformen zuerst in umfassender und bewusster Weise dargestellt hat. Sie steht bei ihm auf dem Kopf. Man muss sie umstülpen, um den rationellen Kern in der mystischen Hülle zu entdecken. In ihrer mystifizierten Form ward die Dialektik deutsche Mode, weil sie das Bestehende zu verklären schien. In ihrer rationellen Gestalt ist sie dem Bürgertum und seinen doktrinären Wortführern ein Ärgernis und ein Greuel, weil sie in dem positiven Verständnis des Bestehenden zugleich auch das Verständnis seiner Negation, seines notwendigen Untergangs einschliesst, jede gewordne Form im Flusse der Bewegung, also auch nach ihrer vergänglichen Seite auffasst, sich durch nichts imponieren lässt, ihrem Wesen nach kritisch und revolutionär ist. (Marx, S. 27f., Nachweis siehe links) |
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Karl Marx
(1867) Das Kapital Erster Band. Buch I: Der Produktionsprozess des Kapitals. In: Marx, Karl; Engels, Friedrich: Werke, Band 23. |
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Die hier dagegen gestellte Frage lautet: Wo aber bleibt das, was von den allgemeinen Bewegungsformen der Dialektik, seien sie ideell oder materiell gefasst, als unbrauchbar an den Wegrand der Geschichte geschoben, gestossen, geworfen wird? Gemeint ist nicht das, was an überkommene Machtverhältnisse sich klammert, sondern das, was an überhaupt keine Machtverhältnisse sich klammern kann oder klammern will. Richtig ist, dass Natur und Geschichte dialektischen Bewegungsformen folgen, doch wären nicht gerade sie - mit der diesbezüglichen Auslegung Hegels durch Adorno zu sprechen - bestimmt zu negieren, zugunsten von dem, was Mensch und Natur überhaupt erst lebendig hält? Ist das allgemeine Bewegungsgesetz nicht genau auch das Problem? So sehr daran festzuhalten ist, dass es in der Geschichte vielleicht sogar als ein allgemeines Lebensgesetz sich geltend macht, so sehr muss darauf instistiert werden, dass in ihm ein Totalitätsanspruch sich geltend macht, den sowohl Hegel als auch Marx in je eigener Weise reproduzieren, der als solcher genau nicht bestehen müsste, nicht bestehen dürfte. Auch wenn jenes Bewegungsgesetz - sei es in den Köpfen, sei es in den Füssen der Menschen - eine durchaus unabdingbare Antriebskraft darstellt, bedeutet das keineswegs, dass es alles ausmacht und als das Ganze anzusehen ist. Das von Hegel und Marx - sei es ideell, sei es materiell - Stilisierte ist nicht das Ganze, wird von beiden aber eben als das Ganze ausgegeben und in der Folge - mit Adorno zu sprechen - zum Unwahren. Das allgemeine Bewegungsgesetz übergeht, was von Sigmund Freud je nach dem als Libido, Triebstruktur, Es und was von Theodor W. Adorno je nach dem als Besonderes, Fremdes, Nichtidentisches bezeichnet wird. Und wird es gesellschaftlich praktisch tatsächlich übergangen, kommt es zu dem, was von Max Horkheimer als die Niederschlagung der "Revolte der Natur" und von Horkheimer und Adorno in der "Dialektik der Aufklärung" als Rückfall in die Barbarei bezeichnet wurde. Dann nämlich "will" das Nichtidentische, dem allgemeinen Bewegungsgesetz entsprechend, geschunden sein. Die grossen Analysen von Hegel und Marx müssten dazu verwendet werden, das Gesetz durchschaubar zu machen, um sodann - und dieser Schritt ist von Adorno und in der Literatur von Kertész getan worden - das Nichtidentische gegen es zu retten. |
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