K184 | Habermas stützt das kommunikative Handeln auf eine zum Vornherein beschnittene Rationalität Eine kritische Anmerkung zur Theorie des kommunikativen Handelns 1. Dezember 2018 Kleine Korruktur vom 3.12.18: Der Satz: So aber darf man kein Verständnis für eine kritische Ratio haben. Ersetzt durch den direkteren Satz: Er bringt aus Gründen der Anpassung kein Verständnis für eine selbstkritische Ratio auf. |
||||
Im Jahr 1981 legte Jürgen Habermas ein zweibändiges Werk mit dem Titel Theorie des kommunikativen Handelns vor (Nachweis im gelben Kasten). Das Werk wurde damals sofort breit rezipiert und von vielen als vielversprechender kritischer Wurf eingeschätzt. Jürgen Habermas wurde auch nach dessen eigener Einschätzung als Vertreter der zweiten Generation der kritischen Theorie angesehen, dank der die erste Generation rund um Max Horkheimer und Theodor W. Adorno definitiv abgelöst wäre. Dieser Eindruck wurde dadurch verstärkt, dass Habermas (Jg. 1929) während der 1960er Jahre am Frankfurter Institut für Sozialforschung tätig war. Er hatte im Jahr 1964 den Lehrstuhl für Philosophie und Soziologie vom emeritierten Max Horkheimer übernommen und diesen Lehrstuhl bis 1971 inne. Er war in den bewegten Jahren der 68er Studentenbewegung in Frankfurt neben Adorno präsent und bezog dabei auch prominent Stellung. Allerdings gab Habermas seinen Lehrstuhl in Frankfurt 1971 wieder auf und lehnte es auch ab, die ihm angebotene Leitung des Instituts für Sozialforschung zu übernehmen. Er wechselte nach Starnberg bei München ans dortige Max-Planck-Institut für Sozialwissenschaften. Möglicherweise spürte Habermas, dass seine eigene theoretische Weiterentwicklung auch örtlich eines neuen Umfeldes bedurfte. In den späten 1970er Jahren entwickelte er in Starnberg jedenfalls dann die hier angesprochene Theorie des kommunikativen Handelns. Der hier Schreibende kam in seinem während der 1980er Jahre in Zürich absolvierten Soziologiestudium um die Lektüre des kommunikativen Handelns nicht herum. Dieses nicht etwa, weil das Werk innerhalb des Studiums vorgeschrieben gewesen wäre, sondern weil viele Mitstudierende sich davon derart begeistern liessen, dass er daran, wollte er auch ein wenig mitreden, nicht vorbei kam. Ihn allerdings begeisterte das kommunikative Handeln von allem Anfang an nicht, sondern er empfand es im Vergleich zu den zwar schwierigen, aber sich um Wahrheit bemühenden Schriften von Horkheimer und Adorno als geradezu oberflächlich, wozu die von Habermas vorgelegten diversen Typologien und Einordnungen wohl wesentlich beitrugen. Dem hier Schreibenden war – bei aller sonstigen Naivität – bereits klar, dass sich das Leben nicht einfach – wie Habermas es suggierte – in Subsysteme untergliedern lässt respektive es, wenn man es trotzdem tut, nicht zum Guten anschlägt. Inhaltlich freilich war er damals dem Werk von Habermas nicht gewachsen, das heisst zu einer Kritik nicht fähig. In den Folgejahren nahm er sich immer wieder vor, eine Kritik zum Kommunikativen Handeln zu verfassen, schaffte es aber nie. Er war dafür – so wäre rückblickend zu sagen – noch zu wenig mit der von Habermas kritisierten kritischen Theorie (mit kritischer Theorie ist hier und im Folgenden immer nur jene von Horkheimer und Adorno gemeint) vertraut. Zudem bietet die Theorie des kommunikativen Handeln für sich das Problem, dass man die darin entwickelten Typologien richtiggehend annehmen und gleichsam durchdeklinieren muss, um in sie überhaupt hineinzufinden. Ein solches Hineinfinden hat dann aber – wie es damals an Mitstudierenden sowie auch an eigenen zaghaften Versuchen abzulesen war – etwas geradezu Hypnotisierendes. Ist man nämlich einmal in den Habermas'schen Typologien drin – den Geltungsansprüchen, dem System mit seinen Subsystemen, der Lebenswelt mit ihren ausdifferenzierten Bereichen Gesellschaft, Kultur und Persönlichkeitsstruktur usw. –, vermag man plötzlich nur noch im vorgegeben typisierenden Sinn zu denken, alles nur noch durch die verschiedenen Raster zu sehen. Und das Leben verschwindet. Die Theorie des kommunikativen Handelns ist weit über tausend Seiten stark; dieses ohne den 1984 noch dazu gekommenen sechshundertseitigen Ergänzungsband gerechnet. Es soll hier selbstredend nicht das ganze Werk und nicht mal ansatzweise besprochen, sondern lediglich eine im Grunde einzige kritische Anmerkung gemacht werden. Diese Anmerkung erfolgt aus Sicht der nach Habermas' Einschätzung überlebten kritischen Theorie. Sie besagt, dass Habermas das kommunikative Handeln auf eine zum Vornherein beschnittene Rationalität stützt. |
|||||
Gemäss Habermas ist in modernen Gesellschaften die Lebenswelt der Menschen derart rationalisiert, dass darin dementsprechend eine Rationalität beständig sich geltend macht, über die sich die Menschen im Bedarfsfall – rational dann eben – verständigen können. Mit dem von Habermas erläuterten kommunikativen Handeln ist genau diese intersubjektiv ablaufende rationale Verständigung gemeint. Darin verständigen sich die Kommunikationsteilnehmer über die rationalen und dementsprechend als kritisierbar angenommenen ... Diese drei Typen von in der rationalisierten Lebenswelt möglich gewordenen Äusserungen können im kommunikativen Handeln unter einem je bestimmten Gesichtspunkt kritisiert werden, nämlich ... Diese ganzen Möglichkeiten zum kommunikativen Handeln sind gemäss Habermas erst in modernen Gesellschaften möglich geworden, dieses infolge der bereits angesprochenen so genannten Rationalisierung der Lebenswelt (Ausdifferenzierung von Gesellschaft, Kultur und Persönlichkeitsstruktur) sowie in deren Folge der Ausdifferenzierung von Systemen (insbesondere Wirtschaft und staatliche Verwaltung vermittels der sog. Tauschmedien Geld und Macht), näherhin der Entkoppelung von System und Lebenswelt. Die Theorie des kommunikativen Handelns versteht sich dementsprechend als eine Theorie der sozialen Evolution. |
|||||
Theorie des kommunikativen Handelns Fr.a.M.: Suhrkamp 1982 |
|||||
Habermas bestimmt die Rationalität der Lebenswelt über die in Äusserungen möglich gewordenen rationalen Bezugnahmen auf die das Ganze repräsentierenden drei Welten, die objektive Welt, die soziale Welt und die subjektive Welt. a) In teleologischen Äusserungen bezieht der Aktor sich rational auf die objektive Welt. b) In normativen Äusserungen bezieht der Aktor sich rational auf die objektive sowie – wesentlich – auf die soziale Welt. c) In expressiven Äusserungen bezieht der Aktor sich rational auf die objektive (vermutlich auch auf die soziale; hier bleibt Habermas unklar, er schreibt nur allgemein von Aussenwelt (vgl. Habermas (1981), Band 1: S. 140) sowie – wesentlich – auf die subjektive Welt (auch als Innenwelt bezeichnet). (Vgl. in Kürzestform Habermas (1981), Band 1: S. 149) Die entscheidende Frage, die Habermas gemäss der hier gemachten kritischen Anmerkung nicht stellt, ist diejenige, ob die von ihm für moderne Gesellschaften angenommene Rationalität der Lebenswelt, über welche die Menschen im kommunikativen Handeln idealerweise sich verständigen, überhaupt die ganze mögliche Ratio einbegreift oder ob diese Rationalität nicht eine – was hier kritisch angemeldet wird – prinzipiell, das heisst noch und gerade im idealen kommunikativen Handeln zum Vornherein beschnittene Ratio ist. Ratio nämlich – und dieses ist eine grundlegende Einsicht der kritischen Theorie von Max Horkheimer und Theodor W. Adorno – ist mehr als Ratio, was sich damit erklärt, dass Ratio auf etwas geht – was Habermas mit den typisierten Weltbezügen (vgl. vorheriger Abschnitt) zwar noch sieht –, und dieses, worauf sie geht, für ihre Bestimmung – und dafür ist Habermas unzugänglich – mitentscheidend ist und sogar – in Anlehnung an Adornos Hinweis auf den Vorrang des Objekts – Vorrang besitzt. Was nämlich vom Begriff für sich oder von der Ratio für sich in deren Weltbezug verpasst ist, gehört – und dieses ist die Essenz der kritischen Theorie von Horkheimer und Adorno – zum Begriff oder zur Ratio bestimmt dazu. Der Begriff ist mehr als der Begriff. Die Ratio ist mehr als die Ratio. Von diesem mehr kommt in der von Habermas bestimmten Rationalität der Lebenswelt nun aber nichts vor, was dann eben – wie noch weiter ausgeführt werden wird – zur Folge hat, dass diese selbst auf eine zum Vornherein beschnittene Rationalität gestützt ist. Nach Horkheimer und Adorno wurde die von ihnen angemahnte (erweiterte) Ratio im Zug der Menschheitsgeschichte und der immer naturbeherrschender werdenden Aufklärung immer mehr sowohl möglich als zugleich vereitelt, der Weg zur Wahrheit wider die sich anzeigende Möglichkeit reell immer mehr verbaut. Es ist dieses das von Horkheimer und Adorno in der Dialektik der Aufklärung beschriebene, in der Realität immer mehr sich durchsetzende rückläufige Moment der Aufklärung. Gegen dieses wäre mit Kritik am Verbauenden, konkreter am gesellschaftlich Naturbeherrschenden und bloss Instrumentellen anzugehen. Dieses genau macht die nicht zufällig so heissende kritische Theorie. Habermas hingegen versperrt sich dieser Kritik, anerkennt prinzipiell einzig die Fortschritte im Naturbeherrschenden und bestimmt die Rationalisierung der Lebenswelt in der dementsprechend beschränkten Weise. Er verwirft die Einsicht der kritischen Theorie in die Aufklärung als eine Aufklärung mit besagt rückläufigem Moment, stellt sie stattdessen als eine soziale Evolution, das heisst ein sozial Forschreitendes dar. Dieses aber ist die Beschönigung des Bestehenden, Abblendung gegen die vom Bestehenden vermittels Naturbeherrschung unterdrückte (erweiterte) Ratio, Abwehr von jeglicher Kritik zugunsten dieser. Man könnte ja mit Bezug auf die von Habermas diagnostizierte Rationalisierung der Lebenswelt die Rationalisierung durchaus kritisch in dem Sinne deuten wie man manchmal sagt: Jetzt rationalisiert Du aber, womit man auf eine mit der Rationalisierung vollzogene Beschränkung des Denkens hinweisen will. Solches meint Habermas leider allerdings nicht, wenn er von der Rationalisierung der Lebenswelt spricht, bemerkt nicht die Pointe, auf die der Begriff ihn aufmerksam zu machen versucht, sondern er fasst die Rationalisierung wirklich nur sozial-evolutionär positiv. Die hier kritisierte Beschränkung der Ratio in der Rationalisierung der Lebenswelt selbst wäre aber wirklich schon am Begriff abzulesen. Die von der kritischen Theorie formulierte Kritik an der Aufklärung existierte bereits, als Habermas die Theorie des kommunikativen Handelns schrieb. Da die kritische Theorie wie gesagt für einen sehr viel weiteren, kritischen Begriff der Ratio plädiert, als Habermas es haben möchte, musste dieser den Nachweis erbringen, dass jener weitere Begriff nicht haltbar ist. Diesen Nachweis versucht er in seinem Werk auch wirklich zu erbringen, geht dabei allerdings – wie hier nun aufgezeigt wird – mit unlauteren Mitteln vor. Habermas zitiert im Kommunikativen Handeln aus Adornos Negativer Dialektik und hierbei sogar die soeben angesprochene zentrale Einsicht kritischer Theorie, doch macht er dieses einzig und allein mit dem Vorsatz, den Gedankengang Adornos an willkürlicher Stelle abzubrechen und es dabei so erscheinen zu lassen, als würde Adorno selber an seiner präsentierten Einsicht zweifeln oder ihr sogar selbst widersprechen:
Zum analogen Trick willkürlicher Blockierung der Einsicht greift Habermas mit Bezug auf die Kritik der instrumentellen Vernunft von Max Horkheimer. Habermas schreibt unter Anfügung eines Zitats, das aus Horkheimers Kritik der instrumentellen Vernunft stammt:
Habermas verfälscht die kritische Theorie von Horkheimer und Adorno, weil er deren Begriff von Rationalität, der die Beschränktheit seines eigenen Rationalitätsbegriffs offenkundig werden lässt, fürchtet. Vermutlich paart sich bei ihm Furcht und willkürliches Unverständnis. Seine Furcht dürfte mit seiner Ahnung davon zusammenhängen, dass in der Wissenschaftswelt mit kritischer Theorie kein Blumentopf zu gewinnen ist, was genau mit den herrschaftlichen Bedingungen zu tun hat, die sich nicht gerne kritisieren, dafür aber umso lieber – wie Habermas willkürlich es macht – auf der Basis einer zum Vornherein herrschaftlich zurecht gestutzten Ratio rechtfertigen lassen. Er bringt aus Gründen der Anpassung kein Verständnis für eine selbstkritische Ratio auf. Habermas vermisst in kritischer Theorie eine losgelöst von der Kritik der in der Wirklichkeit vorwaltenden instrumentellen Vernunft gegebene positive Bestimmung der Vernunft:
_______________ Abschliessend seien einige Stichworte in Kritik der drei von Habermas angeführten Geltungsansprüchen (siehe diese ganz oben) gegeben. Sie werden nicht weiter kritisch an den Ausführungen von Habermas belegt (das Obige möge genügen). Angereichert werden sie mit einigen von Adorno in den Minima Moralia vorgelegten Aphorismen (sie finden sich in den Minima Moralia unter der Ziffer 122). Entgegen dem von Habermas ins Feld geführten Geltungsanspruch der Wahrheit erweisen viele so genannte Sachverhalte, untersucht man sie kritisch auf ihre Wahrheit hin, im Gleichen als wahr und als falsch. Das erklärt sich damit, dass die Sachverhalte in Wirklichkeit zwar sind, also wahr, sie als Sachverhalte der Sache selbst aber nicht gerecht werden, also falsch. In einer echten Kritik ist immer beides zu beachten, und insofern meint Kritik Differenzierung. Die Aufklärung als naturbeherrschende ist falsch, wird aber wahr, wenn sie mehr als Aufklärung wird, nämlich eine sich auf ihre rückläufigen Momente besinnende. Die Menschen sind zwar Menschen, also wahr, aber nicht zu dem geworden, was Menschen werden könnten, nämlich mündige, ihrer Würde gerecht werdende, sind also falsch. Oder man sehe sich – mit Bezug auf den Habermas'schen Geltungsanspruch der Wahrheit – den folgenden von Adorno in den Minima Moralia geprägten Aphorismus zur Wahrheit an, der das oben aus der Negativen Dialektik Zitierte auf den Punkt bringt, den Vorrang des Objekts ernst nehmend:
Was Adorno als Wahrheit anzeigt, ist das schiere Gegenteil des vom Habermas'schen Geltungsanspruch Geforderten. Der Geltungsanspruch (normativer) Richtigkeit ist zum Vornherein beschränkt dadurch, dass in ihm die vermittels die gesellschaftliche Totalität sich durchsetzenden Normen (vgl. dazu den vorletzten Kommentar K182) nicht thematisch werden können. Das Tauschprinzip wirkt hinterrücks, das heisst ohne dass die Menschen dazu noch mit Vernunft Stellung nehmen können, normativ. Die zum System verselbständigte Institution ist nie und nimmer – und auch aus der so genannten Beobachterperspektive heraus nicht – ein – wie von Habermas behauptet – Stück normfreier Sozietät, gerade umgekehrt: Es handelt sich um eine Normen frei von jeder Begründungspflicht durchsetzende Sozietät. Hierin besteht deren Totalität.
Ein solche Kritik an einer der Kritik entzogenen Norm ist dem, der dem Geltungsanspruch (normativer) Richtigkeit Folge leistet, nicht möglich. Es ist damit nicht etwa die Reaktion des Kindes, sondern der den gewaltsamen Entzug der Norm zum Thema machende Aphorismus gemeint. Der Geltungsanspruch (expressiver) Wahrhaftigkeit ist zum Vornherein beschränkt durch die darin vorgenommene Rationalisierung zum Expressiven, Dramaturgischen, Theaterhaften. Nicht zufällig veranstalten diejenigen, welche die Bedürfnisse – ob es überhaupt die ihrigen sind, wäre die weitere Frage – am leichtesten befriedigen können (das heisst ohne Verkauf ihrer Arbeitskraft), das grösste Theater um ihre Wünsche und Gefühle. Dieses wird ihnen dann gar tatsächlich zur so genannten Persönlichkeit angerechnet, genauso wie der Besuch des Psychiaters. Noch Es also kann rational beherrscht sein. Wer dem vernünftigerweise nicht folgt, steht zwangsläufig im Widerspruch zum Geltungsanspruch (expressiver) Wahrhaftigkeit.
Wer heutzutage die instrumentelle Vernunft ernsthaft kritisiert und zur Selbstbesinnung aufruft, wird von den Kommunikationstheoretikern sofort verständnislos angeschaut, implizit sowohl für asozial als auch für unzurechnungsfähig gehalten. Der die instrumentelle Vernunft Kritisierende argumentiert tatsächlich ja in einer Weise, die es verunmöglicht, die Habermas'schen Geltungsansprüche überhaupt nur in Anschlag zu bringen, argumentiert also – von jener kommunikationstheoretischen Rationalität aus gesehen – nicht rational. Die Ratio freilich hat er umso mehr auf seiner Seite. |
|||||