K189 | Erläuterungen mit und zu Adornos Aufzeichnungen zu Kafka Teil 1: Kafkas Texte als abgebrochene Parabeln 23. Februar 2019 |
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Im Jahr 1953 veröffentlichte Theodor W. Adorno einen Aufsatz unter dem Titel Aufzeichnungen zu Kafka (vgl. Nachweis im gelben Kasten). Wie den Quellenangaben zu entnehmen ist, schrieb Adorno den Aufsatz nicht in einem Zug, sondern über rund zehn Jahre hinweg, nämlich von 1942-1953 (vgl. Adorno: GS, Band 10.2: S. 839). Offenbar stellt der Aufsatz das Ergebnis kontinuierlich erweiterter Aufzeichnungen dar, welche auf eine lange Auseinandersetzung des Autors mit Kafkas Texten schliessen lassen. Das überrascht nicht, ist die Deutung von Kafkas Erzählungen und Romanen doch überaus schwierig. Adorno selber spricht von einem Rätsel. Doch sind auch Adornos Ausführungen recht schwierig. Zum besseren Verständnis seien hier Erläuterungen mit und zu Adornos Aufzeichnungen zu Kafka und damit wesentlich natürlich zu Kafka selber gegeben. |
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Adorno weist im ersten Satz seines Aufsatzes auf ein Ungenügen in den üblichen Deutungen von Kafkas Schriften hin:
So gesehen hätte Adorno seine Meinung am liebsten gar nicht angereiht. Doch gibt es für ihn dann doch einen Grund, den er im nächsten Satz anmeldet:
Adorno spielt darauf an, dass Kafka selber seinen Nachlass, in welchem sich Schriften wie Der Prozess befanden, vernichtet sehen wollte, und dass Kafka mit dieser Verfügung – von Max Brod, dem die Verfügung zukam, nicht eingehalten – den falschen Ruhm, der auf die Veröffentlichungen dann folgte, habe verhindern wollen. Adorno sieht sich – so sind seine Worte zu interpretieren – dazu gezwungen, den Franz Kafka heute zukommenden falschen Ruhm richtig zu stellen, das heisst zu insistieren vor dem Rätsel, das Kafkas Schriften aufgibt, auf dass nicht mehr mit so leichter Hand über es hinweg gegangen werden kann. |
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Theodor W. Adorno
(1953) Aufzeichnungen zu Kafka In: Ders.: Kulturkritik und Gesellschaft I. Prismen. Ohne Leitbild. Fr.a.M.: Suhrkamp 2003: S. 254-287. |
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Folgerichtig kommt Adorno auf die seines Erachtens vorliegenden Fehldeutungen von Kafkas Texten zu sprechen:
Man denke – um die Maelstrom-Gewalt seines Werks zu illustrieren – an Kafkas Erzählung Die Verwandlung (1915). Diese setzt mit dem folgenden Satz ein:
Dazu wäre zu erklären, dass es sich bei Gregor Samsa um einen jungen Mann handelt, der einerseits noch bei seinen Eltern und seiner jüngeren Schwester lebt, der andererseits durch seine harte Arbeit als Handelsreisender die ganze Familie stützt. Der Vater von Gregor ist zudem bei dessen Chef verschuldet, und auch von diesen Schulden hält Gregor die Familie frei. Gregor kennt praktisch nichts anderes als seine Arbeit, dank der er die Familie erhält. Und gleichwohl – oder wegen dem? – sieht er sich eines Morgens zu einem ungeheuren Ungeziefer, zu einem ungeheuren Mistkäfer verwandelt. Die Familie behält ihren Ungeziefer-Sohn zwar bei sich, sperrt ihn aber ins Zimmer weg, nimmt ihm seine Möbel und der Vater wirft mit Äpfeln nach ihm. Nach wenigen Wochen stirbt Gregor. Seine Familie zeigt sich erleichtert und fährt zur Feier ins Grüne hinaus, dieses aber nicht nur – wie einem schockartig klar wird –, weil das Ungeziefer beseitigt ist, sondern weil man einen Sohn und Bruder los ist, der für die Familie schon vor seiner Verwandlung eine Störung darstellte. Gregor Samsa war durch sein fleissiges Arbeiten – so die hier gegebene Deutung – ins Zentrum eines Systems geraten, von dem die Familie völlig abhing und in der Folge, ohne es freilich eingestehen zu können, darunter litt. Gregor war nicht etwa boshaft da hinein geraten, sondern mit den besten Absichten und dürfte von seiner Familie auch angespornt worden sein. Und genau hierdurch wurde er – und das ist das Rätsel – zum Ungeziefer der Familie. Brutaler geht es fast nicht, und auf diese – vom Existenzialismus mit behaglichem Unbehagen eskamotierte – Brutalität weist Adorno hin. Sie einzusehen, ihr standzuhalten, dem Rätsel standzuhalten, darum hätte es nach Adorno zu gehen. Gerade in den extremsten Erzählungen Kafkas – Adorno nennt neben Die Verwandlung noch In der Strafkolonie –, zeigt am ehesten, wie durch ein Wunder, Hoffnung sich an:
Wo – wie bei Kafka – das Äusserste als solches Sprache wird, findet der Leser am wenigsten Ausflüchte in irgendeine scheinbare Rettung, muss auch er, sofern er dem Erzählten folgt und nicht vorzeitig aufgibt und den eigenen Kopf zurückzieht (vgl. auch Adorno (1953): S. 256), standhalten. Dieses nun, dank der Sprache dem Äussersten standzuhalten, erweckt dadurch Hoffnung, dass mit dem das Äusserste Aussprechen-Können immer auch ein diesem Äussersten Entgegengesetztes sich anmeldet, so etwas wie eine heilende Kraft der Erkenntnis.
Anstatt, wie die Existenzialisten es tun, sich über die gesellschaftliche Unwahrheit mit einem: "Seht, ich vermag mich einzurichten in ihr, rauche sogar eine gute Zigarre dazu ... Bin ganz heil im Falschen ... Was für ein Lebensgefühl! ..." zu überheben, tritt sie bei Kafka auf als – wie Adorno es dann nennt – ungetröstetes So ist es (Adorno (1953): S. 266):
Kafka spricht das ungetröstete So ist es aus, macht es dadurch – und darin besteht sein Zauberschlag gegen die gesellschaftlich zum Äussersten getriebene Entzauberung – als Chiffre der gesellschaftlichen Unwahrheit, als Negativ der Wahrheit erkennbar. Der Zauberschlag liegt – abstrakt gesagt – im Aussprechen des Unsäglichen:
Der Augenblick des Einstands, auf den alles bei Kafka abzielt, dieses Innewerden, dass man kein Selbst, dass man selbst Ding ist, kann für den Protagonisten dann aber auch – von Adorno so nicht thematisiert – mit der Bewusstwerdung dessen einhergehen, dass es genau nicht stimmt, dass er mehr als ein Ding ist, weil auch er es jetzt aussprechen kann. Der Schluss des Prozesses, wo Josef K. kurz vor seiner Hinrichtung abwägt zwischen der tötenden Logik und einem Menschen, der leben will, ist so ein Moment. Bei Gregor Samsa kommt es kurz vor dessen Tod zwar auch zu so etwas wie einem Augenblick des Einstands, doch ohne solche Bewusstwerdung: An seine Familie dachte er mit Rührung und Liebe zurück. Seine Meinung darüber, dass er verschwinden müsse, war womöglich noch entschiedener, als die seiner Schwester. (Zitiert aus Kafkas Die Verwandlung) In Kafkas Das Urteil, wo der Sohn besinnungslos das von seinem Vater ergangende Urteil, sich im Fluss zu ertränken, vollstreckt: ... über die Fahrbahn zum Wasser trieb es ihn ..., kommt es nicht einmal mal mehr zu einem Augenblick des Einstands. In den letzteren Fällen, die Adorno im Auge hat, liegt die Bewusstwerdung alleine bei dem es Erzählenden, dem es Aussprechenden. Franz Kafka schrieb einzig dafür, dachte überhaupt nicht an mögliche, das Aussprechen nachvollziehende Leser. Wesentlich deshalb dürfte er – ein von Adorno nicht gesehenes Motiv – keinen Sinn in einer Veröffentlichung der hinterlassenen Erzählungen und Romane gesehen haben. Im Zusammenhang mit Kafkas Texten wird – so auch von Adorno – von Parabeln oder von Allegorien gesprochen. Im ersten Moment könnte man dementsprechend meinen, dass Kafkas Die Verwandlung eine lehrhafte Erzählung im Sinne einer Parabel für die Entmenschlichung der Welt liefert. Oder wenn unter der Allegorie eine sinnliche Darstellung eines Begriffs oder einer Theorie zu verstehen ist, dann stellt der zum Ungeziefer gewordene Gregor Samsa die sinnliche Darstellung der Entmenschlichung dar, oder die Dachböden im Prozess die sinnliche Darstellung von Lebensfeindlichkeit usw. Allerdings stellen Parabel und Allegorien Mittel der Aufklärung insofern dar, als mit ihnen, das heisst mit dem Einlegen eines Begriffs, einer Theorie, einer Lehre in die konkrete Welt die überkommene mythische Betrachtung zugunsten einer so genannt realitätsgerechteren denunziert wird. Solche Aufklärung wurde genau aber von Adorno und Horkheimer in der Dialektik der Aufklärung kritisiert. Das Einlegen aufklärender Theorien in die konkrete Welt und die dadurch erreichte Entzauberung der Welt dient in der Tat ihrer immer realitätsgerechteren Beherrschung (vgl. dazu insbesondere den Kommentar K185), macht die Welt dadurch trostloser, undurchdringlicher (vgl. Adorno (1953): S. 282 unten). Solche Aufklärung ist ereilt vom Rückschlag in Mythologie (vgl. ebda). Wenn Kafka mit seinen Schriften auf diesen Rückschlag in Mythologie reagiert (vgl. ebda), woran nicht zu zweifeln ist , dann tut er dieses – wie es bei Adorno unter Darstellung einer Lessingschen Parabel schwer verständlich heisst (vgl. Adorno (1953): S. 281f.) – mit einer Verdunkelung, mit einem Abbrechen der parabolischen Intention:
Kafka verwendet das Mittel der Parabel oder der Allegorie damit also nicht in einer den Rückschlag in Mythologie implizit gar noch befördernden – dieses macht die existenzialistische Auslegung mit ihm –, sondern in einer diesen Rückschlag genau benennenden, aufklärenden Weise. Deshalb sind bei Kafka die Parabeln oder Allegorien – wie Adorno es hervorhebt – gebrochen oder verdunkelt. Auf diese Weise klärt Kafka über die Aufklärung als Rückschlag in Mythologie auf. Bei Adorno heisst es zu Beginn seines Aufsatzes:
Dieses Erfordernis, gedeutet zu werden, meint das Erfordernis, nach der in Kafkas Darstellung steckenden Bedeutung oder eben Theorie im Sinn von Parabel oder Allegorie zu suchen: Sag mir, was ich bedeute ..., doch dieses, was doch ständig erfordert wird, duldet die Darstellung nicht, entspricht nicht dem Gehalt. Kafkas Texte sind keine Parabeln oder Allegorien auf die Dunkelheit des Daseins, doch ist es ebenso unmöglich, daraus zu folgern, es sei auf Deutung als Parabel oder Allegorie, auf die Suche nach dem Schlüssel zu verzichten.
Bei durchgezogener – und nicht wie bei Kafka abgebrochener – Parabolik oder Allegorie wäre das orientierte Verständnis schon da, das Werk durch Begriffe von oben schon zugedeckt, dann würde in jenem von Horkheimer und Adorno kritisierten Sinn Aufklärung betrieben. Kafka jedoch betreibt Aufklärung in einer jenen besagten Rückschlag in Mythologie buchstäblich benennenden, das heisst ihn nicht mittels neuester Theorie fortsetzenden Weise. Deshalb dulden seine Texte die durchgezogen parabolische oder allegorische Deutung nicht. Umso mehr nun aber – welches Paradox! – verlangen sie nach Deutung, aber nach einer, die nicht zum System, sondern gegen es geht, zugunsten der abstrakt-positiv nicht benennbaren, da vom System verunmöglichten Subjektivität. Der Abbruch der zum System, zu neuster Theorie wollenden Deutung wird in dieser dann selber als abbrechend zu bezeichnenden Deutung zu einem Moment der Deutung selber. Die Texte Kafkas dulden Deutung nur in dieser die Deutung abbrechenden Weise.
Kafka gestaltete diesen Prozess über den Prozess nicht etwa so, dass das Recht auf die Seite des Prozessierenden gebracht werden soll (vgl. Adorno (1953): S. 285 unten), was auch nur wieder der durchgezogenen Parabel oder Allogorie entspräche. Der Prozess über den Prozess wird geführt, indem derselbige buchstabengetreu wiedergegeben, ihm geradezu recht gegeben wird.
... in vierzehn Tagen folgt die Fortsetzung ... |
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