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Die einleitende Abschnitt ist übertitelt mit: "I. Strukturelle Wandlungen der Ware Arbeitskraft?" (S. 127ff.) und enthält im Wesentlichen die eben zitierte Grundthese sowie die ebenfalls bereits zusammengefasste Übersicht über die verschiedenen Abschnitte.
Der nach der Einleitung folgende Abschnitt ist übertitelt mit: "II. Selbstorganisation als zunehmende Arbeitsanforderung. Der Problemhintergrund" (S. 130ff.).
Darin wird auf betriebliche Reorganisationsprozesse eingegangen, wie sie sich in den 1990er Jahren - gemäss den Worten der Autoren - in "einer bisher (in der Nachkriegszeit) unbekannten Qualität und Reichweite" (S. 130) vollzogen hätten: "Das Prinzip der Selbstorganisation ist zu einem wichtigen Kerngedanken betrieblicher Arbeitskraftnutzung geworden, nach dem plakativen Motto: 'Wer die Arbeit macht, bestimmt auch, wie sie gemacht wird'. Im Rahmen einer hoch ambivalenten betrieblich 'fremdorganisierten Selbstorganisation' machen Unternehmen dabei in neuer Form Ansprüche gegenüber Arbeitskräften geltend. So werden einerseits Freiräume in der Arbeitsausführung eingeräumt, die für die Arbeitenden durchaus einen Autonomiegewinn bedeuten können, andererseits wird aber zugleich massiv der Leistungsdruck erhöht." (S. 130)
Die für die 1990er Jahre festgestellten Reorganisationsprozesse werden in drei Unterpunkten erläutert:
- An erster Stelle wird die betriebliche Strategie angesprochen, die Arbeitskräfte statt als "Arbeitnehmer" verstärkt als "Auftragnehmer" zu nutzen (S. 130f.). Es wird dabei auf Phänomene wie die Verstärkung der "kooperativen Führung" (S. 131), die "(Wieder-)Anreicherung von Einzeltätigkeiten mit dispositiven Funktionen" (ebda), flexiblere Arbeitsverhältnisse wie "Werkverträge, Arbeitsbefristung, Leiharbeit, Teilzeitarbeit, neue Heimarbeit, Subunternehmertum, Outsourcing, neue Selbständigkeit usw." (ebda) sowie auf verstärkte Formen der "Führung durch Zielvereinbarung" (ebda) hingewiesen.
- An zweiter Stelle wird auf die betriebliche Strategie hingewiesen, einerseits die "lohn- und weisungsabhängigen Formen von Arbeit mit erweiterter Autonomie", andererseits die "formell selbständigen Formen selbstorganisierter Arbeit" zu verstärken (S. 132ff.). Hier kommen hinsichtlich des erstgenannten die im Zusammenhang mit der "Lean Production-Debatte" erfolgte "Renaissance von gruppenbezogenen Arbeitsformen" (S. 132), die "Projektorganisation von Arbeitszusammenhängen" (S. 133), die "Tele(heim)arbeit" (ebda) sowie die "Cost- und Profit-Center-Modelle" (ebda) zur Sprache. Hinsichtlich des zweitgenannten kommen "Outsourcing" und die damit zusammenhängende "Schein-Selbständigkeit" (S. 134), die "altbekannten Freiberufler, Selbständigen und Kleinstbetriebe" (ebda) sowie neue Zusammenschlüsse selbständig Erwerbstätiger zu "sog. virtuellen Unternehmen" (ebda) zur Sprache.
- An dritter Stelle wird die betriebliche Strategie erläutert, die betriebliche Kontrolle erweitert zu externalisieren, womit gemeint ist, dass die Verantwortung für das Arbeitsresultat verstärkt den Arbeitskräften überantwortet wird (S. 135ff.). Dazu heisst es: "Überall geht es darum, durch den Übergang zu flexibilisierten, ergebnisorientierten Auftragsbeziehungen das für die betriebliche Nutzung von Arbeitskraft fundamentale Problem der organisatorisch-technischen Sicherstellung der erforderlichen Arbeitsleistung mit neuer Logik anzugehen." (S. 135) Und diese neue Logik wird dann folgendermassen umschrieben: "Die für uns entscheidende Veränderung ist, dass das komplizierte, teure und ungewisse Geschäft der Sicherstellung der durch Arbeitsvertrag und Lohn nicht eindeutig zu gewährleistenden Transformation von Arbeitskraft in Arbeitsleistung bei Selbstorganisationskonzepten in grundlegend erweiterter Form den Arbeitenden zugewiesen wird. Es sind nun in ganz neuer Qualität die betroffenen Beschäftigten, die in der Ausführung ihrer Tätigkeit wesentliche Teile dieser basalen unternehmerischen Funktion (mit-)übernehmen - einer betrieblichen Funktion, die bisher eine Domäne der mittleren und unteren Ebenen des Managements war. Das für den Betrieb unvermeidbare Transformationsproblem wird nun gezielt und systematisch verstärkt in die personale Umwelt des Betriebs externalisiert." (S. 137)
Im nächstfolgenden Abschnitt des Artikels geht es unmittelbar um den "Arbeitskraftunternehmer": "III. Der Arbeitskraftunternehmer. Interpretationen aus arbeitskraftsoziologischer Sicht" (S. 138ff.).
Die von den Autoren im vorherigen Abschnitt beschriebenen betrieblichen Reorganisationsprozesse gehen mit neuen Anforderungen an die Arbeitskräfte einher: "(Es) bedeutet dies für die Betroffenen komplementär eine grundlegend erweiterte Anforderung, die sie ihrerseits internalisieren müssen. Arbeitskraftverausgabung heisst im Zuge dieser Entwicklung immer weniger passive Erfüllung fremdgesetzter Anforderungen bei mehr oder minder geringen Gestaltungsspielräumen der Arbeitsausführung, sondern zunehmend das genaue Gegenteil: eine explizite und verstärkte aktive Selbststeuerung und Selbstüberwachung der eigenen Arbeit im Sinne allgemeiner Unternehmenserfordernisse (die möglicherweise sogar erst konkret definiert werden müssen) bei nur noch rudimentären bzw. indirekteren und auf höhere Systemebenen verlagerten Steuerungsvorgaben durch die Betriebe." (S. 138)
Und daraus resultiert dann der von den Autoren hypothetisch als die neue Grundform der Ware Arbeitskraft dargestellte "Arbeitskraftunternehmer": "Der Arbeitskraftunternehmer ist die gesellschaftliche Form der Ware Arbeitskraft, bei der Arbeitende nicht mehr primär ihr latentes Arbeitsvermögen verkaufen, sondern (innerbetrieblich oder überbetrieblich) vorwiegend als Auftragnehmer für Arbeitsleistung handeln - d.h. ihre Arbeitskraft weitgehend selbstorganisiert und selbstkontrolliert in konkrete Beiträge zum betrieblichen Ablauf überführen, für die sie kontinuierlich funktionale Verwendungen (d.h. 'Käufer') suchen müssen." (S. 138)
In den folgenden Unterabschnitten wird die "neue Qualität der Ware Arbeitskraft" (S. 139) anhand dreier Momente bestimmt, nämlich der verstärkten "Selbstkontrolle", der verstärkten "Selbstökonomisierung" sowie der zunehmenden "Vertrieblichung" des gesamten Lebenszusammenhangs:
- Der "Arbeitskraftunternehmer" ist gekennzeichnet durch eine verstärkte "Selbstkontrolle" seiner Arbeitskraft im Zusammenhang mit (S. 139ff.):
(1) der "Vervielfältigung und Flexibilisierung der Formen von Arbeitszeiten";
(2) des in Bewegung geratenen "Arbeits-Raumes" (u.a. Teleheimarbeit);
(3) der selbst geleisteten "Herstellung und Regulierung interpersonaler Beziehungen" (insb. Gruppen- und Projektarbeit);
(4) der fachlichen Flexibilisierung, welche Qualifikationen in Eigeninitiative erfordern;
(5) der Notwendigkeit der "Fähigkeit zur Eigenmotivation bzw. zur selbständigen Sinnsetzung";
(6) der Notwendigkeit von Eigenleistungen in "technischer oder (allgemeiner) medialer" Hinsicht (z.B. private Ausstattung und Know-How hinsichtlich PC usw.).
Infolge der verstärkten "Selbstkontrolle" erbringt der "Arbeitskraftunternehmer" sich selber immer schon als "veredeltes Vorprodukt" oder "veredeltes Halbfertigprodukt" in die Produktionsverhältnisse ein.
- Der "Arbeitskraftunternehmer" ist gekennzeichnet durch eine verstärkte "Selbstökonomisierung" im Zusammenhang mit (S. 141f.):
(1) einer "zweckgerichteten und effizienzorientierten individuellen Produktionsökonomie", die aktiv von der Arbeitskraft selber, mithin vom "Produzenten selbst" betrieben wird;
(2) einer "individuellen Marktökonomie", mit der einher geht, dass die Arbeitskraft sich innerbetrieblich und ausserbetrieblich beständig neu zu "verkaufen" hat.
Diese "Selbstökonomisierung" sei als Wandel "zu einer nun wirklich vollständigen (reellen) Selbstunterwerfung unter ökonomische Zwecke" zu interpretieren.
- Der "Arbeitskraftunternehmer" ist gekennzeichnet durch eine zunehmende "Vertrieblichung" des gesamten Lebenszusammenhangs (S. 142ff.), welche wie folgt umschrieben wird:
"Werden die Anbieter von Arbeitskraft im Zuge betrieblich 'fremdorganisierter Selbstorganisation' dazu angehalten, die Produktion und Vermarktung ihrer Fähigkeiten und Leistungen in erweiterter Form gezielt zu betreiben, zieht dies - so die dritte Annahme - eine neue Qualität der alltagspraktischen Basis der Entwicklung und Erhaltung des Arbeitsvermögens und der daraus entstehenden Arbeit nach sich. Aus einer bisher meist eher 'naturwüchsigen', d.h. nur wenig durchgestalteten Routinen überlassenen, vorwiegend rekreationsorientierten (= erholungsorientierten, kw) Lebensweise von Arbeitskräften wird als Folge der erweiterten Ökonomisierung immer mehr eine aktiv zweckgerichtete, letztlich alle Lebensbereiche umfassende sowie alle individuellen Ressourcen gezielt nutzende systematische Organisation des gesamten Lebenszusammenhangs." (S. 142f.)
Das mündet in die Formulierung, dass die "Arbeitskraftunternehmer" selber eine Art "Betrieb" - später wurde ja auch von der "Ich-AG" gesprochen (noch nicht bei Voss und Pongratz) - darstellen: "Sie bilden und unterhalten einen auf geplanter Organisation aller Produktionsfaktoren beruhenden Betrieb." (S. 143)
Im nächstfolgenden Abschnitt wird die Frage behandelt, in welchem Verhältnis der beschriebene "Arbeitskraftunternehmer" zu anderen Formen der "Ware Arbeitskraft" stehen: "IV. Zur gesellschaftlichen Verortung des Arbeitskraftunternehmers" (S. 145ff.). Darin wird zwei Fragen nachgegangen, zunächst jener, inwiefern es sich beim "Arbeitskraftunternehmer" um einen "Unternehmer oder Freiberufler" handelt, dann jener nach der historischen Entwicklungslinie, für die die folgende Kette angenommen wird: "Proletarier, Arbeitnehmer, Arbeitskraftunternehmer".
- Im ersten Unterabschnitt wird das Verhältnis des "Arbeitskraftunternehmers" zum "Unternehmer" einerseits, zu den "freien Berufen" andererseits untersucht (S. 145ff.).
Einerseits wird mit Bezug auf den "Unternehmer" darauf hingewiesen, dass der "Arbeitskraftunternehmer" sich bei der Vermarktung seiner Arbeitskraft und Arbeitsleistung wie ein Unternehmer zu verhalten habe. "Damit sind aber zugleich die Grenzen dieser Analogie markiert: Der Arbeitskraftunternehmer ist keinesfalls gleichzusetzen mit der Figur des 'Kapitalisten', dessen strukturelles Ziel die infinite abstrakt-ökonomische Maximierung von Profit durch den Einsatz fremder Arbeitskräfte bezieht, lebt der Arbeitskraftunternehmer primär von der Vermarktung seiner eigenen Arbeitskraft, auch wenn er in begrenzter Form auf fremde Arbeitskraft zurückgreifen sollte." (S. 145)
Andererseits wird mit Bezug auf die "freien Berufe (Ärzte, Archtekten, Rechtsanwälte u.a.)" (S. 145) festgestellt, dass der "Arbeitskraftunternehmer" dazu die grösste Ähnlichkeit aufweise, indem "bei denen ebenfalls die persönliche Leistung und Verantwortung die Grundlage von Auftragsbeziehungen bildet" (ebda). Allerdings wird diese Aussage wieder zurückgenommen: "Strategien der Selbst-Kontrolle, der Selbst-Ökonomisierung und der Vertrieblichung von Arbeitskraft lassen sich deshalb auch bei ihnen beobachten, weisen dort aber spezifische Einschränkungen auf, die wesentliche Merkmale des Arbeitskraftunternehmers geradezu konterkarieren: Freie Berufe umfassen in der Regel ein eng umrissenes, berufsstrategisch abgeschottetes Feld privilegierter Erwerbstätigkeit als typisches Ergebnis von Professionalisierungsstrategien, mit der sich Berufsgruppen Vorrechte sichern." (S. 145f.)
- Im zweiten Unterabschnitt wird das Verhältnis des "Arbeitskraftunternehmers" zu historisch vorausgehenden Formen der "Ware Arbeitskraft" untersucht (S. 147ff.): "Als Proletarier, Arbeitnehmer und Arbeitskraftunternehmer werden im Folgenden drei idealtypische Grundformen von Arbeitskraft bezeichnet, die als Markierungen für verschiedene Entwicklungsphasen des industriellen Kapitalismus, vielleicht sogar als phasenspezifische Schlüsselfiguren mit unterschiedlichen Logiken der Nutzung von Arbeitskraft gelten können." (S. 147)
Entsprechend wird mit Bezug auf die Industrialisierung zuerst der "proletarisierte Lohnarbeiter der Frühindustrialisierung" (S. 147) thematisiert: "Betriebe kauften quasi 'rohe', vorwiegend durch die physische Leistungsfähigkeit definierte Arbeitsvermögen ein, die dann oft mit brachialen Verfahren zur kontinuierlichen Arbeit genötigt wurden." (ebda)
Historisch an zweiter Stelle wird der "verberuflichte Massenarbeitnehmer des Fordismus" (S. 148) angeführt. "In fortgeschrittenen Phasen der Industrialisierung bildete sich eine im Grundsatz ganz anders angelegte soziale Formung von Arbeitskraft und Arbeitskraftnutzung heraus, die bis heute dominiert. Diese in einem weiteren Sinne als Beruf zu bezeichnende Form der Organisation von Arbeitsvermögen und ihrer Vermarktung schliesst weitgehend standardisierte und systematisch entwickelte Fachqualifikationen ebenso ein wie extrafunktionale Fähigkeiten oder sekundäre Arbeitstugenden." (S. 148)
An der historisch dritten Stelle wird der im Artikel im Mittelpunkt stehende und bereits beschriebene "verbetrieblichte Arbeitskraftunternehmer des Post-Fordismus" (S. 148) festgestellt.
Im abschliessenden Abschnitt wird davon ausgegangen, dass der hypothetisch angenommene "Arbeitskraftunternehmer" sich tatsächlich etabliert und gefragt, welche möglichen Implikationen das hätte: "V. Schöne neue Arbeitsgesellschaft? Zwei Ausblicke" (S. 150ff.). Im ersten Unterabschnitt wird nach den arbeitspolitischen, im zweiten Unterabschnitt nach den gesellschaftstheoretischen und gesellschaftspolitischen Implikationen gefragt.
Im ersten Unterabschnitt, der den Titel trägt: "Neue Heteronomie durch neue Autonomie. Zur arbeitspolitschen Einordnung" (S. 150), wird festgestellt, dass mit dem neuen "Arbeitskraftunternehmer" die genannten herrschaftskritischen Themen ("Herrschaft, Entfremdung, Ausbeutung, Interessendifferenz von Kapital und Arbeit usw., all jene auf die bisher typische Arbeitskraftnutzung verweisenden heteronomen Momente von Arbeit" (ebda)) "tatsächlich in der gewohnten Form an Bedeutung verlieren - in neuer Form (nicht nur in neuem Gewande mit gleichem Inhalt) werden sie vermutlich jedoch wieder auftauchen und dabei neuartige Wirksamkeit entfalten" (ebda). Im Grunde wird damit gesagt, dass die gesellschaftliche Herrschaft über die Arbeitskraft nach Ansicht der Autoren im Zusammenhang mit der Etablierung des "Arbeitskraftunternehmers" eine neue Qualität annimmt. Hierbei wird auf drei neue Qualitäten hingewiesen:
- "Die neue Qualität in der Dimension Herrschaft liegt in der Substitution direkter durch indirekte Kontrolle des Handelns, die durch die systematische Nutzung und Zurichtung der menschlichen Fähigkeiten, sich eigenverantwortlich zu steuern, erzeugt wird - also durch Nutzung der Kapazitäten von Arbeitskräften zur Selbst-Kontrolle. Eine Herrschaft also, die die Betreffenden (vor dem Hintergrund betrieblicher Rahmenbedingungen) über sich selbst ausüben, um dadurch Ziele zu erreichen, die sie im Sinne des Betriebes oft überhaupt erst einmal für ihre Situation definieren müssen, und mit Methoden, die sie ebenfalls zum grossen Teil erst entwickeln und auf sich anwenden müssen. (...) Sie (die Arbeitskraftunternehmer, kw) installieren in sich (oder für sich) einen Herrschaftszusammenhang, der in einen fremden Herrschaftszusammenhang eingebunden bleibt." (S. 150f.)
- "Arbeitskraftunternehmer können und müssen (...) ein wesentlich selbstbewussteres, individuelleres und vor allem aktiveres Verhältnis zur betrieblichen Nutzung ihrer Fähigkeiten entwickeln. Trotzdem geht es natürlich auch bei ihnen um nichts anderes als eine möglichst effiziente unternehmerische 'Ausbeutung' ihrer Potentiale - mit zwei wichtigen neuartigen Momenten: (1) Zum einen findet hier die in der Sozialkritik häufig thematisierte Ausbeutung von Menschen durch (andere) Menschen nicht nur weniger offensichtlich und vermittelter statt, sondern hier beuten sich Arbeitskräfte vor allem systematisch und in neuer historischer Qualität selbst aus. (...) (2) Zum zweiten führt genau diese dem Arbeitskraftunternehmer so selbstverständlich als Fähigkeit inhärente und abverlangte Ausbeutung seiner selbst zu einer wesentlich umfassenderen Nutzung seiner Potentiale. Da wo konventionelle betriebliche Kontrolle immer wieder an kaum zu überwindende Grenzen der Leistungsgewinnung stösst, kann der Arbeitskraftunternehmer weiter vordringen und ungehobene Schätze zutage fördern. (...) Mit neuen Strategien der Selbstorganisation von Arbeit zielen Betriebe auf einen derart erweiterten, potentiell jetzt wirklich totalen Zugriff auf die Arbeitskraft - ein Zugriff, der nicht mehr nur Teile der Eigenschaften von Arbeitskräften erfassen und nutzen will, sondern die Arbeitsperson als ganze." (152f.)
- "Der Arbeitskraftunternehmer übernimmt derart weitgehend betriebliche Kontroll- und Führungsfunktionen, dass er, wie bisher allein das Management, nahezu schon das Lager gewechselt hat und seine objektive Interessenlage als Arbeitskraft kaum mehr erkennbar ist. Und dennoch taucht der Interessenkonflikt von Kapital und Arbeit in unerwarteter neuer Form wieder auf. Denn indem der Arbeitskraftunternehmer die Betriebsinteressen weitgehend übernimmt und die Transformation seiner Arbeitskraft in Arbeit systematisch selbst kontrolliert, holt er auch den Interessenkonflikt in sich selbst hinein. Zunehmend empfindet er nun zwei Seelen in seiner Brust: Er ist abhängige Arbeitskraft und hat zugleich mehr als alle anderen Arbeitskrafttypen gelernt, im Sinne eines fremden Unternehmens zu handeln, zu denken und zu fühlen. Der industriegesellschaftliche Interessenkonflikt findet infolgedessen immer weniger zwischen Arbeitsperson und Arbeitsorganisation statt, sondern zwischen zwei Seiten ein und derselben Person - der 'Klassenkampf' wird in die Seelen und Köpfe der Arbeitskräfte verlagert." (S. 152)
Der zweiten Unterabschnitt ist übertitelt mit: "Alte Fragen auf neuer historischer Stufe. Zur gesellschaftstheoretischen und gesellschaftspolitischen Einordnung" (S. 153ff.). Es wird darin zum einen - gesellschaftstheoretisch - auf eine mit dem "Arbeitskraftunternehmer" sich zeigende neue Vergesellschaftungsform hingewiesen, zum andern - gesellschaftspolitisch - auf die neuen mit dem "Arbeitskraftunternehmer" einher gehenden sozial-, tarif - und auch bildungspolitischen Erfordernisse hingewiesen.
- "Im Arbeitskraftunternehmer zeigt sich in fast idealtypischer Weise der Übergang von einer primär normativen oder direktiven Form der Vergesellschaftung zu einem Modus der Sozialregulierung und -integration, die auf einer zunehmenden Selbstvergesellschaftung von Individuen beruht. (...) (Es könnte) sich eine Verschiebung von einer vorwiegend direkten zu einer eher indirekten, Leistungen der sozialen Selbstintegration (Selbst-Disziplinierung, Selbst-Kultivierung, Selbst-Rationalisierung) einbeziehenden Vergesellschaftung vollziehen. Was damals an bürgerlichen Eliten und bestenfalls in statu nascendi diagnostiziert wurde, scheint sich aktuell in deutlicherer Weise zu vollziehen. Die populäre These der Individualisierung spitzt dies in markanter Form zu." (153f.)
- Auch für die möglichen sozialen Lagen des "Arbeitskraftunternehmers" diagnostizieren Voss und Pongratz ein grosses soziales Gefälle: "Es wird damit mehr oder weniger luxurierenden 'Erfolgsunternehmern ihrer Arbeitskraft' eine grosse (und sozial stark abgestufte) Schicht möglicherweise oft erheblich sozial benachteiligter 'Arbeitskraft-Kleingewerbetreibender'' gegenüberstehen, deren Endpunkt durch ein neuartiges Taglöhnertum gebildet wird. (...) Persönliche Kompetenzen werden eine entscheidende Rolle für die Nutzung und Bewältigung der neuen Freiheiten und Anforderungen des Arbeitskraftunternehmers spielen. Damit sind nur zum Teil fachliche Fähigkeiten gemeint, denn das ganze Spektrum der in den letzten Jahren zunehmend diskutierten überfachlichen Fähigkeiten (Sozial- und Kommunikationsqualifikationen, Lern- und Innovationskompetenzen u.ä.) spielt dabei eine vordringliche Rolle." (S. 154f.)
"Eine längerfristig sozial tragbare Etablierung des neuen Arbeitskraftmodells und nicht zuletzt seine fruchtbare Nutzung im engeren ökonomischen Sinne dürfte dagegen nur im Rahmen einer hoch entwickelten sozialpolitischen Einbettung möglich sein, die einen historisch neuartigen sozialen Kompromiss voraussetzt. Eine solche politische Flankierung muss in unseren Augen zumindest auf zwei Ebenen ausgebaut werden: Zum einen geht es darum, sozial- und tarifpolitische sowie arbeitsrechtliche Rahmen zu schaffen, die den Arbeitskraftunternehmer in seinen Erfordernissen aufnehmen (und nicht behindern) und dafür sorgen, dass damit eine vor verschärfter Fremd- und Selbstausbeutung geschützte, materiell, psychisch und sozial akzeptable Form von Alltag und Biographie entwickelt werden kann. Zum anderen geht es um die angedeutete Frage der Qualifikation, nämlich darum, auf allen Ebenen der gesellschaftlich organisierten Entwicklung von menschlichen Fähigkeiten diejenigen Kompetenzen systematisch zu fördern, die als Schlüsselqualifikationen des Arbeitskraftunternehmers gelten können. (...) (Eine solche Forderung) geht fast zurück zu einem klassischen Bildungsideal der ganzheitlich entwickelten Persönlichkeit. (...) Was sich mit dem Arbeitskraftunternehmer auf erweiterter sozialer Ebene und in neuer Form (als Leitbild) durchsetzen könnte, ist tatsächlich ein genuin 'bürgerliches' Modell von Person und Arbeitskraft." (S. 155f.)
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