K67 | Jeder seine Chimäre Prosagedicht von Charles Baudelaire 13. Oktober 2012 nach einem Hinweis von Iva Sedlak |
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Statt eines Kommentars sei ein Prosagedicht von Charles Baudelaire wiedergegeben.
Vorweg, was sich im Fremdwörterduden zu "Chimäre" findet: Chimäre = Schimäre (Schimäre: nach dem Ungeheuer → Chimära) die: Trugbild, Hirngespinst / Chimära: (gr.-lat. "Ziege"): Ungeheuer der griech. Sage (Löwe, Ziege u. Schlange in einem). |
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Charles Baudelaire Jeder seine Chimäre Unter einem weiten grauen Himmel, in einer weiten staubigen Ebene, ohne Wege, ohne Gras, ohne eine Distel, ohne eine Nessel, begegnete ich einigen Männern, die gebückt dahingingen. Jeder von ihnen trug auf seinem Rücken eine ungeheure Chimäre, die so schwer war wie ein Sack Mehl oder Kohlen oder das Gepäck eines römischen Fusssoldaten. Aber das scheussliche Tier war nicht eine leblose Last; im Gegenteil, es umklammerte und drückte den Mann mit seinen biegsamen und mächtigen Muskeln zu Boden; es krallte sich mit seinen beiden gewaltigen Klauen in die Brust seines Tragtiers ein, und sein fabelhafter Kopf ragte über die Stirn des Mannes hinaus, wie einer jener fürchterlichen Helme, mit denen die Krieger der Vorzeit den Schrecken des Feindes noch zu vermehren hofften. |
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Ich machte mich an einen der Männer heran und fragte ihn, wohin sie gingen. Er antwortete mir, dass er nichts darüber wüsste, weder er noch die anderen; dass sie aber ganz offenbar irgendwohin gingen, da sie von einem unbezwinglichen Bedürfnis getrieben würden vorwärts zu gehen. Eine merkwürdige Feststellung: Auf dem Gesicht keines dieser Wanderer zeigte sich Empörung über dieses an seinem Halse hängende und auf seinem Rücken klebende grässliche Tier; es war, als ob er es für ein Stück von sich selbst hielt. Alle diese ermüdeten und ernsten Gesichter zeigten keinerlei Verzweiflung; unter der griesgrämigen Wölbung des Himmels, die Füsse schleppend im Staub eines Bodens, der ebenso trostlos war wie dieser Himmel, zogen sie dahin mit dem entsagenden Ausdruck von Menschen, die dazu verurteilt sind, immerwährend zu hoffen. |
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Charles Baudelaire Jeder seine Chimäre Gedicht in Prosa In: Charles Baudelaire: Die Tänzerin Fanfarlo und Der Spleen von Paris. Prosadichtungen. |
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Und der Zug ging an mir vorüber und versank im Dunst des Horizonts, da, wo die Rundung des Planeten sich der Neugier des Menschenauges entzieht. |
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